K. Herbers u.a. (Hrsg.): Europa im 15. Jahrhundert

Cover
Titel
Europa im 15. Jahrhundert. Herbst des Mittelalters – Frühling der Neuzeit?


Herausgeber
Herbers, Klaus; Florian, Schuller
Erschienen
Regensburg 2012: Verlag Friedrich Pustet
Anzahl Seiten
255 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Der anzuzeigende Sammelband geht auf eine von der Katholischen Akademie in Bayern im Frühjahr 2011 abgehaltene Historische Woche zurück. Die Akademie versteht sich laut der eigenen Webseite als «Forum der offenen Auseinandersetzungen mit grundlegenden Fragen der Zeit auf der Basis des christlichen Glaubens» und richtet sich offenbar an ein aufgeschlossenes Nichtspezialistenpublikum. Dies ist auch in der vorliegenden Publikation zu spüren, bei der es sich um ein «Lesebuch» im besten Sinn des Wortes handelt. Der Fachhistoriker dürfte darin kaum auf Neues zu «seinem» Interessengebiet stossen, der interessierte Laie hingegen findet eine Fülle an verlässlichen Informationen, die zu handlichen, gut lesbaren Überblicksdarstellungen gebündelt werden. Für die Güte bürgen die durchwegs namhaften Autoren. Die Beiträge, vierzehn an der Zahl, sind ebenso viele Mosaiksteine, die zusammengesetzt eine Annäherung an das titelgebende 15. Jahrhundert bilden. Selbiges gilt gemeinhin als Schnittstelle zwischen dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit und damit als besonders aufschlussreicher Zeitabschnitt.

Diesen Schwellencharakter spricht der Untertitel des Bandes an, der selbstverständlich auf Johan Huizingas oft wiederaufgelegten kulturgeschichtlichen Klassiker «Herbst des Mittelalters» (1919) anspielt. Den direkten Dialog mit Huizinga
sucht dabei allerdings nur Hermann Kamp in «Kultur und Politik am Hof der Herzöge von Burgund» (71–90). Huizingas Geschichtsverständnis habe diesen dazu verleitet, «die in dieser oder jener Hinsicht als mittelalterlich erkannte Kultur Burgunds als durch und durch mittelalterlich zu beschreiben». Entsprechend habe er alles abgewertet, «was diesem Bild nicht entsprach» (72). Dem setzt Kamp eine andere Vorstellung entgegen: Man dürfe «in der am Hof von Burgund betriebenen Prachtentfaltung nicht nur den matten Abgesang einer überkommenen Kultur sehen, sondern ebenso den durchaus erfolgreichen Versuch, das Haus Burgund im politischen Mächtespiel der Zeit zu etablieren». Diese kulturellen Praktiken seien «Teil einer politischen Kultur» gewesen, «die für die entstehende höfische Gesellschaft im frühneuzeitlichen Europa bestimmend wurde» (90).

Der Übergangscharakter des thematisierten Jahrhunderts kommt natürlich auch in anderen Beiträgen zur Sprache, so in Heribert Müllers Überblick über die Konzile von Konstanz und Basel «am Vorabend der Reformation» (22–36). Der Verfasser hält dabei fest, die Versuche, die Reformation allein aus dem «Scheitern des konziliaren Reformexperiments» erklären zu wollen, würden zu kurz greifen, «wenn man nicht jenen letztlich unvorhersehbaren, systembrechenden Innovationsschub als entscheidend betrachtet, der aus der Kraft reformatorischer Persönlichkeiten, allen voran Martin Luthers, resultierte» (36). Diese «Kraft» kontrastiert mit Heike Johanna Mieraus Ausführungen zum Renaissance-Papsttum (37–54), das für seine Träger eine Last darstellte, sowohl als symbolisches Konstrukt – dem damaligen Amtsverständnis entsprechend, habe der Papst «Belastungen gerade wegen der göttlichen Gnade in Kauf nehmen [...] müssen» (54) als auch als konkret physische Beschwernis.

In seinem philosophiegeschichtlichen Exkurs geht Eckhard Keßler der Geburt des neuzeitlichen Denkens nach (55–70), wobei er den Humanismus des 15. Jahrhunderts «nicht nur [als] eine rückwärts gewandte Bildungsbewegung, als die er traditionell verstanden wird», bewertet, sondern auch als einen «zukunftsweisenden Anstoß, der dem neuzeitlichen Denken den Weg bereiten konnte» (55). In die Zukunft weisen auch Franz Irsiglers Anmerkungen zum Buchdruck mit beweglichen Lettern (122–135), der sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts «explosionsartig [...] über fast alle Länder Europas aus[breitete]» (132).

Parallel zu den bisher genannten religiösen und kulturellen Umwälzungen zeichneten sich im 15. Jahrhundert auch weitreichende politische Entwicklungen ab, so der von Stephan Flemming skizzierte Aufstieg Polens bei gleichzeitigem Niedergang des Deutschen Ordensstaates (161–182), das Erstarken der nationalen Königtümer in Frankreich und England, das Martin Clauss als eines der Ergebnisse des Hundertjährigen Kriegs ausmacht (183–203), die von Karl Vocelka angesprochene Europäisierung der habsburgischen Hausmachtspolitik an der Wende vom 15. Zum 16. Jahrhundert (204–212) oder die von Klaus Herbers in Erinnerung gerufene europäische Expansion, die mit den Fahrten der Portugiesen um die Südspitze Afrikas und der Atlantiküberquerung durch Christoph Kolumbus einsetzte (223–240). Eher das Ende als den Beginn einer Epochebeschreibt hingegen Günter Prinzing mit dem Untergang des Byzantinischen Reichs (213–222).

Der reichhaltige Band wird komplettiert durch Beiträge von Heribert Müller zum grossen abendländischen Schisma (10–21), Gudrun Gleba zur Struktur des Reichs (91–104), Franz Irsigler zu den sozialen Randgruppen im 15. Jahrhundert (105–121) und Winfried Eberhard zur hussitischen Revolution (136–160). Ein Register fehlt.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Klaus Herbers/Florian Schuller (Hg.), Europa im 15. Jahrhundert. Herbst des Mittelalters – Frühling der Neuzeit?, Regensburg, Verlag Friedrich Pustet, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 420-422.

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